ATAD III Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung von Briefkastenfirmen

AIQUNITED-TEAM / September 27th

Am 22. Dezember 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen ("shell entities") für Steuerzwecke (Richtlinie 2021/0434, im Folgenden der „Richtlinienvorschlag“). Der Richtlinienvorschlag wird in der Praxis auch als ATAD-III-Richtlinie bezeichnet und ist ein weiterer Anlauf der Kommission, steuerliche Sanktionen gegen die vermeintlich missbräuchliche Nutzung von Gesellschaften bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten durchzusetzen. Sobald die Richtlinie von allen Mitgliedstaaten angenommen wird, soll sie am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

ATAD III Knocking on Luxembourg’s Door: der Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung von Briefkastenfirmen. Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind und passive Einkünfte aus einem anderen Staat beziehen, sollen Mindestanforderungen in Bezug auf eigene Büroräume, Personal und ihre Bankverbindung erfüllen („Substanzanforderungen“), um von (Quellen-) Steuervergünstigungen der EU-Richtlinien und Doppelbesteuerungsabkommen zu profitieren. Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallen, müssen zusätzlich an ihr zuständiges Finanzamt melden, ob sie die von dem Richtlinienvorschlag festgelegten Mindestsubstanzanforderungen erfüllen.

Der aktuelle Richtlinienvorschlag ist in vielerlei Hinsicht noch unklar und widersprüchlich. Wenn der Richtlinienvorschlag 2024 unverändert in Kraft tritt, dürften die Auswirkungen insbesondere auf AIF-Strukturen mit grenzüberschreitenden Holdingstrukturen signifikant sein. AIFs sollten daher eine baldige Umsetzung der im Richtlinienvorschlag beschriebenen Mindestanforderungen an die Substanz in Erwägung ziehen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Dies gilt umso mehr, als die Substanzprüfung zwei Jahre zurückgehen, also nach derzeitiger Lesart auf die Jahre 2022 und 2023.

Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags und die Definition von Minimum-Substanz

Im Mittelpunkt des Richtlinienvorschlags steht die Verpflichtung für bestimmte, grenzüberschreitend tätige Unternehmen, den nationalen Steuerbehörden mitzuteilen, ob sie die im Richtlinienvorschlag definierten Mindestanforderungen an die Substanz erfüllen.

Nur bei Erfüllung der Anforderungen kann das Unternehmen Steuervergünstigungen nach europäischen Steuerrichtlinien oder Doppelbesteuerungsabkommen in Anspruch nehmen. Werden die Substanzanforderungen nicht erfüllt, gilt das betreffende Unternehmen als „Briefkastenfirma“. Es soll jedoch die Möglich bestehen, die Qualifizierung als Briefkastenfirma zu widerlegen, indem das Unternehmen nachweist, dass es wirtschaftlichen Erwägungen gegründet wurde, es qualifiziertes Personal beschäftigt und die Entscheidungsfindung im Ansässigkeitsstaat erfolgt.

Der Richtlinienvorschlag soll für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform gelten, soweit sie als steuerlich ansässig betrachtet werden können und die folgenden Merkmale erfüllt:

  1. Mehr als 75 % der Einnahmen des Unternehmens in den beiden vorangegangenen Steuerjahren bestehen aus passiven Einkünften im Sinne des Richtlinienvorschlags. Als passive Einkünfte gelten unter anderem Zins-, Dividenden- und Lizenzgebühreneinkünfte sowie Einkünfte aus Immobilien; und
  2. Das Unternehmen übt eine grenzüberschreitende Tätigkeit aus. Dies sollte der Fall sein, wenn entweder die Buchwerte des im Ausland belegenen unbeweglichen und nicht betrieblichen beweglichen privaten Vermögens – mit Ausnahme von Bargeld, Anteilen oder Wertpapieren – in den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren mehr als 60% des der Buchwerte des Unternehmens ausgemacht haben oder, wenn die passiven Einkünfte des Unternehmens zu mindestens 60% aus grenzüberschreitenden Transaktionen erzielt werden.
  3. Das Unternehmen hat die Verwaltung des Tagesgeschäfts und die Entscheidungsfindung in Bezug auf wichtige Funktionen in den beiden vorangegangenen Steuerjahren ausgelagert.

Erfüllt ein Unternehmen diese Kriterien, muss es in seiner jährlichen Steuererklärung angeben, ob es über die „Minimum-Substanz“ verfügt, nämlich ob

  1. es über eigene Räumlichkeiten oder Räumlichkeiten zur ausschließlichen Nutzung verfügt;
  2. es mindestens ein eigenes und aktives Bankkonto in der Europäischen Union hat;
  3. es ein oder mehrere Geschäftsleitungsmitglieder hat, die
  • im Mitgliedstaat des Unternehmens ansässig sind oder nicht weiter von diesem Mitgliedstaat entfernt sind, als mit der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben vereinbar ist,
  • qualifiziert sind, eigenständig Entscheidungen in Bezug auf die Tätigkeiten des Unternehmens zu treffen,
  • nicht bei anderen, nicht verbundenen Unternehmen beschäftigt sind, wo sie Leitungsfunktionen ausüben.
  1. die Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten ist im Mitgliedstaat des Unternehmens ansässig oder nicht weiter von diesem Mitgliedstaat entfernt, als mit der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben vereinbar ist, und sie sind für die Ausübung der Tätigkeit, die die passiven Einkünfte generiert qualifiziert.

Die Nichteinhaltung der Meldepflicht oder falsche Angaben in der Steuererklärung werden mit einer Verwaltungsstrafe in Höhe von mindestens 5 % des Umsatzes der Briefkastenfirma belegt.

Befreiungen

Der Richtlinienvorschlag schließt unter anderem börsennotierte Unternehmen[1], regulierte Finanzunternehmen wie AIFM[2], AIF, Verbriefungsorganismen[3], OGAW[4], Kreditinstitute und (Rück-) Versicherungsunternehmen[5] von der Meldepflicht aus.

Die folgenden Holdinggesellschaften aus sollen ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen:

  1. Holdinggesellschaften, deren wirtschaftliche Eigentümer (im Sinne von wirtschaftlich Berechtigten) und deren operative Tochtergesellschaften im selben Mitgliedstaat steuerlich ansässig sind, und
  2. Holdinggesellschaften, die in demselben Mitgliedstaat ansässig sind wie ihr(e) Anteilseigner oder ihre oberste Muttergesellschaft.

Inwieweit die beiden Ausnahmeregelungen auf Investmentfondsstrukturen und ihre Tochtergesellschaften angewandt werden können, ist derzeit noch unklar.

Ein Mitgliedstaat kann ein Unternehmen ebenfalls von seinen Meldepflichten befreien, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass sein Bestehen die Steuerschuld seines/seiner wirtschaftlichen Eigentümer(s) oder der Gruppe, der das Unternehmen angehört, nicht verringert.

Unternehmen mit mindestens fünf eigenen Vollzeitbeschäftigten sollen nicht in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallen.

Folgen der Einstufung als Briefkastenfirma

Fällt ein Unternehmen in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags und erfüllt die Mindestanforderungen an die Substanz nicht und kann auch nicht nachweisen, dass es aus wirtschaftlichen Erwägungen gegründet wurde, darf es keine Steuererleichterungen in Anspruch nehmen, die durch die in nationales Recht umgesetzten europäischen (Steuer-)Richtlinien gewährt werden, wie z. B. die europäische Mutter-Tochter-Richtlinie und die Richtlinie über Zinsen und Lizenzgebühren. Auch die Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens sollen keine Anwendung finden dürfen.

Infolgedessen könnten sich in Bezug auf die von einer Briefkastenfirma erzielten passiven Einkünfte die folgenden steuerlichen Konsequenzen ergeben:

  • Alle als passive Einkünfte eingestuften Zahlungen eines in einem Mitgliedstaat ansässigen zahlenden Unternehmens an eine Briefkastenfirma sollten in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem der oder die Anteilseigner der Briefkastenfirma ansässig sind. Die im Quellenstaat gezahlten Steuern sollten angerechnet werden.
  • Die Quellensteuerbefreiung für Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren sollte im Mitgliedstaat des zahlenden Unternehmens keine Anwendung finden.
  • Alle Zahlungen an eine Briefkastenfirma, die sich im Besitz von in einem Drittland ansässigen Anteilseignern befindet, sollten der Quellensteuer auf Ebene des zahlenden Unternehmens unterliegen, unabhängig davon, ob die Zahlungen über die Briefkastenfirma abgewickelt werden oder nicht.
  • Einkünfte aus Immobilien sollten in dem Mitgliedstaat, in dem die Immobilie belegen ist und in dem Mitgliedstaat des/der Anteilseigner(s) der Briefkastenfirma so besteuert werden, als ob der/die Anteilseigner die Immobilie direkt besitzen würde(n) (unabhängig vom Bestehen der Briefkastenfirma).

Informationsaustausch und Steuerprüfungen

Mit dem Richtlinienvorschlag wird ein automatischer Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Briefkastenfirmen eingeführt. Mitgliedstaaten können eine Steuerprüfung bei der Briefkastenfirma ersuchen.

Inkrafttreten

Die Bestimmungen der Richtlinie sollten von den Mitgliedstaaten bis spätestens 30. Juni 2023 in nationales Recht umgesetzt werden. Sobald die Richtlinie von allen Mitgliedstaaten angenommen wurde, sollte sie am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Schlussfolgerungen

Der politische Wille, gegen Briefkastenfirmen vorzugehen und Mindeststandards für die Substanz festzulegen, ist zu begrüßen, aber wie so oft in der Vergangenheit, ist der Richtlinienvorschlag zu weit gefasst und wird, wenn er so umgesetzt wird, die falschen Unternehmen und Wirtschaftszweige in der EU belasten. Der Richtlinienvorschlag verhindert den freien Kapitalfluss im Binnenmarkt und damit die notwendigen Investitionen, um Europa wettbewerbsfähig zu machen: Investitionen in erneuerbare Energien und den Ausbau der europäischen Infrastruktur.

Es ist zu befürchten, dass die Auswirkungen des Richtlinienvorschlags auf europäische Strukturen alternativer Investmentfonds und ihre verbundenen Unternehmen erheblich sein werden. Neben dem Verwaltungsaufwand könnten die Investmentfondsstrukturen mit höheren (Quellen-)Steuern konfrontiert werden, wenn die Mindestanforderungen an die Substanz nicht umgesetzt werden können. In jedem Fall werden die europäischen Strukturen für alternative Investmentfonds in Zukunft noch teurer, da Kostenteilungsvereinbarungen zwischen Konzerngesellschaften, die in der Vergangenheit zur Senkung der Personal-, Miet- und Compliance-Kosten getroffen wurden, möglicherweise nicht mehr umgesetzt werden können.

Falls noch nicht geschehen, sollten die Mindestanforderungen an die Substanz so weit wie möglich umgesetzt werden. Wenden Sie sich an uns.

Wir werden gerne Ihre aktuellen AIF-Strukturen überprüfen, um sie mit den neuen Anforderungen des Richtlinienvorschlags in Einklang zu bringen.  

[1] Gemäß der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.06.2014, S. 349-496). 

[2] Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010. 

[3] Gemäß der Richtlinie 2017/2402 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Verbriefungen und zur Schaffung eines spezifischen Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefung und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG, 2011/61/EU und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 347 vom 28.12.2017, S. 35). 

[4] Im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2009/65/EG. 

[5] Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 (ABl. L 176 vom 27.06.2013, S. 1).

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